Theory and History of Ontology (www.ontology.co)by Raul Corazzon | e-mail: rc@ontology.co

Giorgio Tonelli (1928-1978): Bibliographie der Schriften von Kant und die Philosophie des XVIII. Jahrhunderts

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Bibliographie

  1. Tonelli, Giorgio. 1957. "Von den verschiedenen Bedeutungen des Wortes Zweckmäßigkeit in der Kritik der Urteilskraft." Kant-Studien no. 49:154-166.

    "Vorwort. Der Begriff „Zweckmäßigkeit" ist bekanntlich unter den wichtigsten, aber auch den schwersten der Kritik der Urteilskraft (1), da seine verschiedenen speziellen Bedeutungen im Laufe des Vortrages nicht beständig gehalten werden. Verschiedene Versuche sind in der Vergangenheit gemacht worden, um ihren Gebrauch zu einem kohärenten allgemeinen Schema zurückzuführen. Aber auch der letzte und ernstere, der Versuch Marc-Wogaus (2), gerät aus der Abstraktheit seiner historischen Einstellung in manche Ungereimtheiten und Dunkelheiten. Es ist von uns schon anderswo dargestellt worden (3), wie der Text der Kritik der Urteilskraft eine schwierige und kontrastreiche Entstehung gehabt habe, wie die verschiedenen Änderungen des allgemeinen Entwurfes im Laufe der Redaktion es zeigen —; Änderungen, deren tiefe Spuren in der Terminologie und in der eigentlichen Struktur des Werkes geblieben sind. Es ist also ein nicht nur unhistorischer, sondern auch nutzloser Versuch, eine künstliche Zusammenstimmung zu schaffen, wo wir es mit Lehren, die in verschiedenen Zeiten und unter verschiedenen Standpunkten entstanden sind, zu tun haben; Die einzige annehmbare Weise, die Frage anzugehen, ist eine Geschichte der Entwicklung der verschiedenen Begriffe und der Termini, in denen sie ausgedrückt weiden, zu entwerfen, wobei das Hauptproblem nicht die Zusammenstimmung, sondern die Entwicklung ist.

    Wir werden diesen Versuch für den Terminus Zweckmäßigkeit unternehmen, und zwar mit Beschränkung auf die rein terminologische Fragestellung. Anderswo hoffen wir eine historische Interpretation dieser philologisch bestimmten data anbieten zu können (4).

    Die Reihenfolge der Redaktion der verschiedenen Teile der Kritik der Urteilskraft ist, wie wir früher dargelegt haben (5), die folgende gewesen: 1) Analytik des Schönen; 2) Deduktion der reinen ästhetischen Urteile; 3) Dialektik der ästhetischen Urteilskraft; 4) Erste Einleitung; 5) Analytik des Erhabenen; 6) Kritik der teleologischen Urteilskraft; 7) [Zweite] Einleitung und Vorrede. Wir werden also in unserer Analyse dieser Ordnung folgen." (ss. 154-155)

    (..)

    "IX. Schlußwort. Versuchen wir jetzt, die entstandenen Schemata kurz au vergleichen, um besser die einzelnen Änderungen zu bemerken. Im I. und II. Schema findet man die subjektive, formale Zweckmäßigkeit ohne Zweck nur im Sinne der Schönheit; im III, Schema erscheint neu die Zweckmäßigkeit der empirischen Naturgesetze, formale, logische Zweckmäßigkeit genannt, während die Naturschönheit zur realen, absoluten Zweckmäßigkeit zu gehören scheint. Im IV., V. und VI. Schema ist die Schönheit subjektive, formale Zweckmäßigkeit-, als solche wird, sie im V. mit der Zweckmäßig¬keit der empirischen Gesetze zusammengelegt, nur wird sie im VI. als innere Zweckmäßigkeit von der äußeren des neuentstandenen Erhabenen unterschieden; und beide werden als a priori im betreffenden Urteile von der anderen subjektiven Zweckmäßigkeit, der Annehmlichkeit, unterschie¬den. Die letztere ist gegenüber der ersteren als nicht bloß formal im VII. Schema bestimmt, das übrigens mit dem VI. übereinstimmt, van der bei¬gefügten Benennung „ästhetische Zweckmäßigkeit“ und von der Auslas-sung der Termini innere und äußere zur Unterscheidung von Schönheit und Erhabenheit abgesehen. Das Erhabene wird in den Schemata VIII und IX noch nicht berücksichtigt, wo die Schönheit als subjektive Zweckmäßig¬keit sich noch mit der Zweckmäßigkeit der empirischen Gesetze zusam¬menfindet.

    Die objektive Zweckmäßigkeit (auch „Materie des nexus finalis") ist im I. Schema etwas ziemlich Unbestimmtes. Tatsächlich vermag ihre Dichotomie als Nützlichkeit und Vollkommenheit solche Termini nicht völlig klarzumachen. Nur aus den Zusammenhängen, die uns Kant in seiner Schrift über den Gebrauch ... darbietet, können wir annehmen, daß Vollkommenheit dort schon mit dem Organismus zu tun hatte; der Text aber erwähnt nur die Produkte der menschlichen Kunst (in der anhängen¬den Schönheit), und früher, in der Analytik des Schönen, war der Ter¬minus Vollkommenheit nur auf die moralische Güte eines Gegen¬standes bezogen. Auch das Wort Nützlichkeit wird nicht klar entweder auf das menschliche Tun .und Lassen oder möglicherweise auf eine äußere Naturzweckmäßigkeit bezogen. Das Schema II nennt entschieden solche Zweckmäßigkeit material, aber nur die anhängende Schönheit betreffend. Im III. Schema scheint der Organismus mit der Naturschönheit als reale, absolute Zweckmäßigkeit zusammengestellt zu werden, und real wird er auch im V. genannt. Vom IV. Schema ab betrifft die objektive Zweck¬mäßigkeit grundsätzlich den Organismus, aber im VI. und VIII. wird sie als innere bzw, Vollkommenheit von der äußeren bzw. Nützlichkeit (im VI. relativ genannt) unterschieden. Im VIII. Schema wird sie als material von der empirischen der menschlichen Kunst wie von dem neuen Begriff der intellektuellen bloß formalen Zweckmäßigkeit der geometrischen Fi¬guren unterschieden. In dem IV. und IX. Schema kommt sie als Zweck¬mäßigkeit der Form eines Gegenstandes vor, und material wird sie in den Schemata [I], II und VIII genannt. Im VIII. und IX. Schema erscheint die Moralität als eine besondere Art Zweckmäßigkeit bzw. als innere Be¬stimmung des Menschen.

    Wenn wir nun unsere Ergebnisse mit den A- und B-Schemata, die von Marc-Wogau (S. 71 des zitierten Buches) angegeben werden, vergleichen, so -erhellt, daß beide aus einer artifiziellen Verallgemeinerung entstanden sind, die keiner wirklichen Stufe des Kantischen Denkens entspricht. (Man konnte vielleicht das Schema B als eine unpräzise Vereinfachung unseres VI. Schemas betrachten.) Was das Schema A betrifft, ist zu bemerken, I. daß die Zweckmäßigkeit der geometrischen Figuren vor allem ob¬jektiv ist, als der subjektiven Zweckmäßigkeit entgegengesetzt; 2. daß die Annehmlichkeit vor allem subjektiv oder ästhetisch ist, als der objektiven Zweckmäßigkeit entgegengesetzt; 3. daß das moralisch Gute als absichtlich, bzw. als innere Bestimmung des Menschen gar keine objek¬tive, reale Zweckmäßigkeit ist, da es nicht, auch nicht hypothetisch, em¬pirisch verifizierbar ist; daß das relativ Gute, nämlich das Nützliche des menschlichen Wirkens, nicht praktisch, sondern bloß technisch ist

    Trotzdem können einige der von Marc-Wogau klargestellten Unter¬scheidungen als eine nützliche Vervollständigung unserer Ergebnisse be¬trachtet werden. Schließlich wollen wir noch einmal empfehlen, keine willkürlichen allgemeinen Schemata zu bilden, sondern jede Stelle aus dem näheren Zusammenhang zu interpretieren. Künstliche allgemeine Schemata entsprechen nur einer ungerechtfertigten Rationalisierung -und nicht den Absichten Kants; sie ändern die wirkliche Ordnung der Begriffe, sie in einen einzigen Zusammenhang zwingend und schwere Verwirrungen in den Beziehungen zwischen Allgemeinerem und Besonderem verursachend; und wenn man solche Schemata zur Interpretation des Textes anwendet, so wird der Sinn dadurch verstellt, daß man schon anfangs einige Be¬ziehungen zu Begriffen setzt, die wirklich erst später in der Entwicklung des Textes entstehen; und vice versa.“ (ss. 165-166)

    (1) Die Kritik der Urteilskraft wird aus der (Ist) Originalausgabe zitiert. Die Erste Einleitung aus der Ausgabe Lehmanns im XX. Band der Preußischen Akademie Ausgabe. Die übrigen Werke Kants aus der Preußischen Akademie Ausgabe, wenn andere Angaben fehlen.

    (2) S. K. Marc-Wogau, Vier Studien zu Kants Kritik der Urteilskraft, Uppsala-Leipzig, 1938, wo (S. 69, Anm.) die vorhergehenden Versuche zitiert werden.

    (3) In unserem Aufsatze: La formazione del testo della Kritik der Urteilskraft. Revue Internationale de Philosophie, Bruxelles, Okt. 1954.

    (4) In einer Monographie, die wir über die Kritik der Urteilskraft vorbereiten.

    (5) Vgl. La formazione del testo della Kritik der Urteilskraft.

  2. ———. 1959. "Der Streit über die mathematische Methode in der Philosophie in der ersten Hälfte des 18. Jahrunderts und die Entstehung von Kants Schrift über die Deutlichkeit." Archiv für Philosophie no. 9:37-66.

    Italienisch Übersetzung: G. Tonelli, Da Leibniz a Kant. Saggi sul pensiero del Settecento, Napoli: Prismi, 1987, ss. 81-107.

  3. ———. 1962. "Der historische Ursprung der kantischen Termini "Analytik" und "Dialektik"." Archiv für Begriffsgeschichte no. 7:120-139.

    "Bekanntlich sind zwei Hauptteile der „Kritik der reinen Vernunft“ mit „transzendentale Analytik“ und „transzendentale Dialektik“ überschrie¬ben. Die Termini Analytik und Dialektik sind selbstverständlich keine Neologismen. Jedoch hat noch niemand bisher untersucht, aus welcher Tradition Kant hier geschöpft hat, und immerhin könnte man annehmen, daß er diese Ausdrücke willkürlich der älteren Philosophie entnommen und ihnen eine neue Bedeutung beigelegt hätte. Im folgenden werden wir dagegen zeigen, daß beide Termini und ihr spezifischer Gebrauch bei Kant aus der deutschen Tradition des 17. und 18. Jahrhunderts stammen. Kant hat sie freilich mit einer neuen Bedeutung erfüllt, blieb dabei aber ganz im Rahmen einer heimischen Überlieferung.

    Eine zusammenfassende Übersicht über die Entwicklung der beiden fraglichen Termini wird unsere kurze Untersuchung einleiten (1)." (s. 120)

    (...)

    “III. Die Einteilung der Kritik der reinen Vernunft in Transzendentale Analytik und Transzendentale Dialektik ist zweifellos nach dem Vorgang von Darjes vorgenommen worden. Kant kannte die Darjes’sche Philoso¬phie sehr gut, er hatte sich mit ihr mehrfach auseinandergesetzt und stand in einigen Einzelheiten unter dem Einfluß von Darjes und seiner Schule (104).

    Der Inhalt der kantischen transzendentalen Analytik und Dialektik ist deutlich ein ganz anderer als der der gleichnamigen Teile der aristote¬lischen Handbücher; doch der hypothetische und antithetische Charakter der transzendentalen Dialektik entspricht wohl dem Begriffe der logica probabilium bzw. disputatrix. Diese Analogie dürfte Kant bewogen haben, den aristotelischen Terminus zu übernehmen. Der Stand der Philosophie¬geschichtsschreibung zu seiner Zeit läßt uns mit Gewißheit annehmen, daß Kant dabei den Terminus Dialektik völlig bewußt der aristotelischen Tradition gemäß verwendet und nicht im Sinn der platonisch-ramistischen. — Mit dem Terminus Analytik konnte er schon deshalb direkt an Aristo¬teles anknüpfen; da dieser Ausdruck ohnehin allein im aristotelischen Sinn im Gebrauch war.

    Kant hat in seinem Streben, für seine neuen philosophischen Begriffe passende Termini zu finden, die geeignet wären, diese von den wolffischen und anderen zu seiner Zeit geläufigen scharf zu differenzieren, auch in anderen Fällen mehrmals auf die ältere aristotelische Tradition in Deutsch¬land zurückgegriffen: seine Übernahme des Terminus Kategorie bietet ein weiteres Beispiel dafür (105). Diese seine Terminologie vereinigt in sich die Vorteile, zu Kants Zeit nicht allzu gewöhnlich zu sein und dabei doch durch eine glänzende Vergangenheit zugleich geadelt und allgemeinverständlich geworden zu sein. Der Unterschied der kantischen Begriffe von ihren ari¬stotelischen Entsprechungen war dabei auffallend genug, daß eine Gefahr der Verwechslung nicht bestand.“ (s. 139)

    (1) Vgl. im allg. G. Capone Braga, Della Dialettica, „Giornale di Metafisica“ IX, 1954; G. Losacco, Storia della dialettica I (bei den Griechen), Firenze 1922; N. Abbagnano, E. Paci, C. A. Viano, E. Garin, P. Chiodi, P. Rossi, N. Bobbio, Studi Sulla dialettica, Torino 1958; L. Sichirollo, Aristotelica, Urbino 1961, „Recenti ricerche sulla dialettica aristotelica“; für weitere Hinweise, s. Materialien zur Begriffsgeschichte, „Archiv für Begriffsgeschichte“, Bd. 5, 1960, siehe Artikel „Dialektik“.

    (104) Siehe G. Tonelli, Elementi metafisici e metodologici in Kant (1745-1768), Vol. I, Torino 1959, passim und: A crisis in the Notion of Substance in the XVIII Century, „Tijdschrift voor Philosophie“, 1961, XXIII.

    (105) Siehe G. Tonelli, La tradizione delle categorie aristoteliche nella filosofia moderna sino a Kant, „Studi Urbinati“, 1958, XXXII.

  4. ———. 1963. "Die Umwälzung von 1769 bei Kant." Kant Studien no. 54:369-375.

    "Es ist hier unsere Absicht, die von uns schon einmal vorgetragene Erklärungshypothese zur Umwälzung der Kantischen Philosophie im Jahre 1769 weiterzubilden und zu berichtigen. Diese Hypothese wurde in ihrer ersten Form in unserem Band Kant dall'estetica metafisica all'estetica pslcoempirica (Torino, 1955, „Memorie della Accademia delle Scienze di Torino, Serie 3a, Tomo 3, Parte II") dargestellt; sie soll in einem weiteren und fast vollendeten Werk über die Entstehung der Kritik der reinen Vernunft ihre endgültige Gestalt erreichen. Diese historische Erklärung und Interpretation gründet sich sowohl auf Kants Druckschriften wie auf die Nachlaßreflexionen. Nur das Wesentliche, von dem, was wir, dem gegenwärtigen Stand unserer Untersuchungen entsprechend, feststellen zu können glauben, sei hier angedeutet.

    Das bedeutendste Merkmal der Umwälzung vom Jahre 1769 ist, unserer Ansicht nach, die damals völlig zur Geltung gekommene Trennung der Sinnlichkeit vom Verstände. Die Deutung von Raum und Zeit als reine Formen der Anschauung, von einigen metaphysischen Grundbegriffen als synthetische Begriffe des Verstandes, dürfte nur eine Folge der erwähnten Trennung sein. Die Voraussetzungen für diese Trennung treten schon seit der Schrift über die Negativen Größen (1763) allmählich in Erscheinung. Kant hatte in seiner Dissertation über die Deutlichkeit (1762) behauptet (in Übereinstimmung mit der Meinung der deutschen philosophischen Schulen seiner Zeit), daß es möglich sei, das Mannigfaltige der Empfindung (das Reale) in seine Elemente zu analysieren, und diese Elemente wieder aufzulösen, bis die ihnen zugrunde liegenden einfachen Grundbegriffe erreicht weiden: und zwar so, daß die Erkenntnis der empfundenen Dinge durch diese Analyse ihre Deutlichkeit gewinnt, wogegen die nicht weiter auflösbaren Grundbegriffe ihre Deutlichkeit durch den entgegengesetzten Prozeß erreichen, nämlich durch die Synthese, indem sie, miteinander zusammengesetzt, nochmals zur Mannigfaltigkeit des ' Wirklichen kommen, die man als Ausgangspunkt genommen hatte. Kant) behauptete jedoch, und dieses gegen die Meinung der Schulen, daß man in Wahrheit immer noch weit entfernt davon war, die besprochenen Grundbegriffe analytisch festgestellt zu haben.

    Die Welt war also damals für Kant, der Terminologie der Schulen gemäß, ein System von Gattungen und Arten, die nach, dem Satz der Identität einander subordiniert sind. Dieser Satz, obwohl zur Begründung des Realen unzureichend (denn dazu war auch der Satz des zureichenden Grundes notwendig, welcher, den Ansichten von Crusius gemäß, vom Satze der Identität grundverschieden war — wie Kant in der Nova Dilucidatio behauptet hatte), fand doch in dieser Welt nichts, das seiner Form fremd war." (ss. 369-370)

  5. ———. 1964. "Das Wiederaufleben der deutsch-aristotelischen Terminologie bei Kant während der Enstehung der "Kritik der der reinen Vernunft"." Archiv für Begriffsgeschichte no. 9:233-242.

    Italienisch Übersetzung: G. Tonelli, Da Leibniz a Kant. Saggi sul pensiero del Settecento, Napoli: Prismi, 1987, ss. 171-180.

    "In diesem Bericht sollen einige Einzelergebnisse dargestellt werden, zu denen ich im Rahmen meiner Untersuchungen über die Entstehung der Kritik der reinen Vernunft gekommen bin. Da diese Untersuchungen noch nicht abgeschlossen sind, ist das hier Vorgetragene als vorläufig anzu sehen(1). Meine Untersuchungen beziehen sich auf die Jahre von 1769 bis 1781, nämlich auf die Periode zwischen dem „großen Licht" von 1769 bis zur Kritik der reinen Vernunft. Die Reflexionen aus Kants Nachlaß und die Kolleghefte aus diesen Jahren wurden mit den Druckschriften und Briefen zusammen als Quellen benutzt. Die Datierung der Reflexionen, wie Adickes sie vorgeschlagen hat, hat sich bisher, auch im Vergleich zu den anderen Quellen, als im Großen und Ganzen zuverlässig erwiesen. Im Zusammenhang mit dieser Tagung ist mein Interesse in der Haupt sache terminologisch. Ich beabsichtige also nicht, hier die eigentliche pro blematische Entwicklung des kantischen Gedankenganges zu verfolgen (hierzu bereite ich eine besondere Monographie vor), sondern ich werde ausschließlich den Ursprung der neuen Termini, die Kant in dieser Zeit aufnimmt, klarzulegen versuchen. Als „neue Termini" bezeichne ich solche, die Kant vorher entweder gar nicht oder nur gelegentlich und unsyste matisch gebraucht hat(2). In der Zeit bis 1768 hat Kant in der Metaphysik und in der Methodologie die Terminologie benutzt, die in den deutschen Schulen der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts üblich war. Aber schon 1769 treten wichtige Veränderungen ein, die zweifellos der großen begrifflichen Wende ent sprechen, die in diesem Jahre stattgefunden hat; und in der folgenden Zeit erscheinen immer weiter neue Termini, so daß sich am Ende im Wort schatz der „Kritik der Reinen Vernunft" ein Bild ergibt, das der vor kritischen Zeit gegenüber tief verändert erscheint. Kant liebte es nicht, Neologismen selber einzuführen; geläufig war ihm demgegenüber die Übernahme von Termini aus anderen Sprachen. Die Quellen für die neuen kantischen Termini nach 1769 sind durchaus verschieden. Jedoch lassen sich zwei Hauptgruppen einigermaßen ausgren zen: Erstens die Termini, die aus Lockes Essay und aus Leibnizens Nouveaux Essais stammen, und zweitens die Termini, die aus der deutsch aristotelischen Überlieferung übernommen sind. Den ersteren begegnet man hauptsächlich in den Jahren 1769-1770, den letzteren in der Folgezeit. Als auslösende Ursache der Wende von 1769 sehe ich die Veröffent lichung der Nouveaux Essais von Leibniz im Jahre 1765 an. Die Essais machten auf Kant zweifellos einen tiefen Eindruck und riefen, vielleicht zum ersten Mal, ein eingehendes Studium von Lockes Essay hervor. Die Lehren von Locke und Leibniz, zusammen mit einigen Beiträgen von Hume, boten Kant die Möglichkeit, eine neue Lösung für eine sehr kom plizierte Problematik zu finden, die ihn schon jahrelang beschäftigt hatte(3)." (ss. 171-172)

    (1) Die Vortragsform bringt es mit sich, daß das Belegmaterial nicht in vollem Umfang ausgebreitet werden kann. Einige Fragen sind auch bereits in besonderen Aufsätzen von mir behandelt, weitere Untersuchungen werden hoffentlich bald in anderer Form erscheinen.

    (2) Zur Terminologie Kants in der Zeit vor 1769 cf. G. Tonelli, Kant, dall'estetica metafisica all'estetica psicoempirica, studi sulla genesi del criticismo (1754-1771) e sulle sue fonti. In: Memorie della Accademia delle Scienze di Torino, Serie 3, Tomo 3, Parte II. Torino 1955, und: G. Tonelli, Elementi metodologici e metafisici in Kant dal 1745 al 1768. Vol. I. Torino 1959.

    (3) ) Für den Versuch einer Erklärung der „Kopernikanischen Revolution" vom Jahre 1769 ci. G. Tonelli, Kant, dall'estetica ...,§§ 149-164, wo wir allerdings den Einfluß von Locke und Leibniz nicht behandeln sondern nur die vorhergehende Problematik untersuchen, die Kant für die Einflüsse Lockes und Leibnizens empfänglich gemacht hat; und G. Tonelli, Die Umwälzung von 1769 bei Kant, „Kant-Studien", LN, 1963.

  6. ———. 1966. "Die Voraussetzungen zur Kantischen Urteilstafel in der Logik des 18. Jahrhunderts." In Kritik Und Metaphysik Studien. Heinz Heimsoeth Zum Achtzigsten Geburtstag, edited by Kaulbach, Friedrich and Riiter, Joachim, 134-158. Berlin: Walter de Gruyter.

    Deutsch Übersetzung von L'origine della tavola dei giudizi e del problema della deduzione delle categorie in Kant, Filosofia, 7, 1956, ss. 129-138.

  7. ———. 1966. "Die Anfänge von Kants Kritik der Kausalbeziehungen und ihre Voraussetzungen im 18. Jahrhundert." Kant Studien no. 57:419-456.

    "Dem gegenwärtigen Zustand der Kantforschung gemäß darf man sowohl sagen, daß die Anfänge von Kants Kritik der Kausalität den Kern des Problems der Beziehungen zwischen Kant und Hume, wie daß die Beziehungen Kant/Hume den Kern des Problems von den Anfängen von Kants Kausalitätskritik bilden. Das Ziel dieser Untersuchung wird hauptsächlich eine Umgestaltung einer solchen Sachlage sein: und zwar dadurch, daß wir zeigen werden, wie Kants Kritik der Kausalbeziehungen aus einer Problematik entsprang, die in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts so verbreitet war (und die wiederum mit der Gesamtlage der philosophischen Entwicklung jener Zeit in Verbindung war), daß sowohl eine ausschließliche wie eine vorzügliche Beziehung auf Hume in diesem Bezug kaum noch einen Sinn hat. Dadurch werden auch die Grenzen unserer Untersuchung bestimmt: es ist hier nicht unsere Ansicht, die Frage zu erörtern, welche Rolle das Kausalitätsproblem in der Entstehung von Kants Kritizismus gespielt habe; eine Frage, die wir schon bei anderen Gelegenheiten besprochen haben (1), Die bisherigen Behandlungen der Geschichte des Kausalitätsproblems (2) beleuchten nur die Hauptepisoden seiner Entwicklung und bieten daher keiner Anhalt für unsere Besprechung; zumal da wir diese Entwicklung aus der besonderen Perspektive der Krise des Kausalbegriffes studieren sollen. Man darf zwischen dem Ende des 17. und dem Anfang des 18, Jahrhunderts vier verschiedene kritische Einstellungen zum Kausalitätsproblem als typisch betrachten. Wir werden erstens den Okkasionalismus Malebranches und die vorherbestimmte Harmonie Leibnizens, ihren weitreichenden Unterschieden zum Trotz, zusammennennen. Als zweite typische Einstellung betrachten wir die Methodologie der Naturwissenschaft, wie Newton sie verstanden hat. Als dritte den relativen metaphysischen Skeptizismus der thomasisch-pietistischen Philosophenschule, in Beziehung auf die Kausalitätslehre Rüdigers und besonders Aug. Fried. Müllers. Als vierte und letzte die Erkenntnislehre Burthogges. Wir wollen nun diese verschiedenen Fragestellungen einzeln betrachten." (ss. 419-420)

    (1) Siehe: G. Tonelli, Kant, dall'estetica metafisica all'estetica psicoempiriea, Torino 195! (Memorie della Accademia delle Scienze di Torino, Serie 3", Tomo 3, Parte II), S. 248ff Die Umwälzung von 1769 bei Kant, in: Kant-Studien 54 (1963), s. 369ff.

    (2) E. König, Die Entwicklung des Causalproblem, Leipzig 1888; E. Wentscher, Ge schichte des Kausalproblems in der neueren Philosophie, Leipzig 1921; E. Cassirer, Das Et kenntnisproblem, Bd. II, Berlin 1922.

  8. ———. 1967. "Kant und die antiken Skeptiker." In Studien zu Kants philosophischer Entwicklung, edited by Heimsoeth, Heinz, Henrich, Dieter and Tonelli, Giorgio, 93-123. Hildesheim: Georg Olms.

    Englisch Übersetzung: Kant and the Ancient Sceptics, in R. H. Popkin, E. De Olaso, G.Tonelli (Hrsg.), Scepticism in the Enlightenment, Dordrecht: Kluwer, 1997, ss. 69-98.

  9. ———. 1969. "Einleitung." In Christian August Crusius, De philosophischen Hauptwerke. Band I, V-LXV. Hildesheim: Georg Olms.

  10. ———. 1969. "Einleitung." In Johann Georg Sulzer, Allgemeine Theorie der schönen Künste, V-XIX. Hildesheim: Georg Olms.